natürlicher roman im künstlichen garten

Lesung / Finissage Lichtinstallation
„Kaleidoskopischer Garten“ von Katrin Bethge
„Natürlicher Roman“ von Georgi Gospodinov
15. Juli 2011

Galerie KunstNah
Kulturetage Altona
Große Bergstraße 160
22767 Hamburg

Im Rahmen der Finissage zur Lichtinstallation „Ein kaleidoskopischer Garten“ von Katrin Bethge stellten wir Auszüge aus dem kaleidoskopischen „Natürlichen Roman“ des bulgarischen Schriftstellers Georgi Gospodinov buchstäblich in den Raum.

Über die Wände rotierende Pflanzen und Samen, unter der Decke gluckerndes Wasser, ein gelegentlich schattenhaft vorbeiziehender Käfer oder Salamander – die Künstlerin Katrin Bethge hat mit Hilfe einiger geschickt bestückter und motorisierter Over-Head-Projektoren einen künstlichen Garten in den Stadtraum des Neuen Forums in Hamburg-Altona gezaubert. Technik und Natur gehen – im Übrigen ohne jede digitale Animation – eine lebendige Verbindung ein.

Im Garten mit seinen sprudelnden Fontänen, Brunnen, Strahlen und Wasserfällen verwandelt sich gepfegte Ordnung langsam in Wildnis. Vom Paradies als Zustand wissen wir nichts. Als verscherzte Unschuld liegt er hinter uns, als Zustand einer künftigen Seligkeit vor uns, doch die Gedanken daran knüpfen sich immer an das Gartenleben, reich an lebendigem Wasser.

So die Beschreibung der Ausstellung in der Galerie KunstNah. Der ideale Ort für eine Lesung aus Georgi Gospodinovs „Natürlichem Roman“, der die Verbindung von Kunst – hier der Literatur – und Natur ja schon im Namen trägt. Weiteres Verbindungsstück zwischen Installation und Text ist das Kaleidoskopische. Projiziert Bethge den Garten in Form visueller Kristalle an die Wände der Galerie, so erzählt Gospodinov seine Geschichte in kaleidoskopisch angeordneten Episoden. Oder, wie er es selbst formuliert: aus der Sicht des Facettenauges der Fliege, mit ihrem Blick für die Vielfalt der einzelnen Details.

Den Blick umdrehen: nicht vom Menschen auf die Pflanze, sondern (auch) umgekehrt:

Warum sollte der Angelpunkt aller Analogien der Mensch sein? Ich frage mich, wie uns wohl die Pflanzen beschreiben würden, was für eine Klassifikation würden sie uns geben? „Von einer Pflanze beschrieben“ ist ein guter Titel, den ich mir für ein andermal aufheben muss. Mir scheint, dass sie uns ständig beobachten – Gummibäume, Spargel, Bonsais, kleine Dattelpalmen, Chinarosen, Pelargonien, Zitronenblümchen. Sie haben uns immer im Auge. (Übersetzung A. Sitzmann, S. 149-150)

Im Mittelpunkt einer der zahlreichen Erzähl-Facetten steht zudem ein Gärtner, ein alter Mann, der die Harmonie der Welt durch die Pflege seiner Pflanzen retten will:

Irgendwo lebte ein alter Mann, der für das Gleichgewicht der Welt verantwortlich war. Nicht, dass jemand ihm diese Pflicht zugeteilt hätte. Aber der Alte fühlte sich verantwortlich. […] In seinem Garten wuchsen seltsame und im Dorf unbekannte Pflanzen. Bäume mit riesigen flachen Blättern, niedrige Büsche mit leuchtendroten kleinen Früchten, Tulpen mit blauen Kelchen, riesige stachelige (bärtige, wie sie es im Dorf nannten) Stengel, auf deren Spitze einmal im Jahr nur für einige Tage herrliche Blüten aufflammten. (S. 110-111)

Ein literarischer Vorläufer des in diesem Hamburger Sommer so populären urban gardening … Die in der Installation von Katrin Bethge verwendeten Blumensamen sprießen im übrigen fröhlich auf der Terrasse der Galerie.

Mehr Info:

Kaleidoskopischer Garten auf der Homepage von Katrin Bethge

Natürlicher Roman von Georgi Gospodinov, übersetzt von A. Sitzmann